(17) Musical Offering: Ensemble Continuum
Veranstaltungsdetails
Musical Offering – I am scared of dying, what do I do? Bachs musikalisches Opfer als Reise zwischen Individuum und Kollektiv
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Musical Offering – I am scared of dying, what do I do?
Bachs musikalisches Opfer als Reise zwischen Individuum und Kollektiv
Raumkonzept, Videos und Soundscapes von Folkert Uhde
Das Musikalische Opfer von Johann Sebastian Bach wird in diesem Projekt gedacht als eine geträumte Reise durch imaginäre Landschaften mit Begegnungen zwischen überraschender Nähe und Distanz, Vereinzelung und beglückender Gemeinschaft. Dahinter liegen Fragen, die uns alle beschäftigen: Wie kommen wir ins Gespräch? Wie verringern wir Distanz? Warum teilen wir alle die Sehnsucht nach Gemeinschaft und Zugehörigkeit?
Eine neue Instrumentierung von Elina Albach legt neue Schichten in Bachs Musik frei. Zeitgenössische Musik, Soundscapes und Improvisationen ergänzen, überlagern, verfremden das barocke Meisterwerk und bringen es in unsere Gegenwart. Reale und imaginäre Landschaftsvideos begleiten die Reisenden auf ihrer Suche nach musikalischen Partnerschaften, nach Kommunikation und einer gemeinsamen Stimme. Die Ebenen überlagern sich, Solisten sind an verschiedenen Orten im Raum aus der Distanz zu hören, das Ensemble sitzt im Zentrum. Einzelne Stimmen verlieren sich, vervielfachen sich und gehen schließlich auf in der Gemeinschaft. Großformatige Videoprojektionen zeigen Landschaften von atemberaubender Schönheit und deprimierender Eintönigkeit. Live gefilmte Kamerabilder mit closed ups der Musiker:innen vermischen sich mit den abstrakten Landschaften. Soundscapes kommen aus verschiedenen Richtungen, die Lautsprecher sind nicht zu sehen.
Bachs „Kunst der Fuge“ gehört zu den großen und mystifizierten Zyklen der Musikgeschichte. Das Thema, die drei- und sechsstimmigen Fugen, aber auch die Entstehungsgeschichte mit der Begegnung von Friedrich II. und Johann Sebastian Bach im Potsdamer Stadtschloss, dem vom König vorgegeben Thema, der Improvisation als Ursprung und die aufwendige, aber folgenlose Ausarbeitung durch Bach gab und gibt immer wieder Stoff für Spekulationen. Dabei ist das Musikalische Opfer – wie auch die Kunst der Fuge – weit mehr als ein kompositorisch-didaktisches Meisterwerk. Sie ist vor allem ein ebenso komplexes wie hoch emotionales Stück Musikgeschichte.
Das Ensemble Continuum nähert sich instrumental auf eine sehr ungewöhnliche Weise mit vielfältig einsetzbaren Instrumenten wie Oboe, E-Gitarre oder Viola da Gamba dem Zyklus. Mit diesen Instrumenten werden musikalische Arrangements möglich gemacht, welche zu gänzlich neuen Eindrücken von Bachs Instrumentierung und seiner Stimmführung führen. Die original besetzten Instrumente wie Violine, Traverso, Barockcello und Orgel/Cembalo übernehmen Kernfunktionen und bewahren idiomatische Stellen und Einsätze. Der gleichwohl in der zeitgenössischen Musik beheimatete Geiger Joosten Ellée und Gambist Liam Byrne ergänzen Werke lebender KomponistInnen, welche die Klangmöglichkeiten des Ensembles deutlich erweitern.
Das musikalische Material des Musikalischen Opfers wird um einzelne Sätze aus Bachs Hand ergänzt: Instrumental erklingende Arien und Choräle mit hohem Wiedererkennungswert und Assoziationsgehalt, u.a. aus dem Actus Tragicus. Dabei geht es immer wieder um die Sehnsucht nach Gemeinschaft: Die Suche nach Kommunikationsmöglichkeiten, nach einem gemeinsamen Raum, dem Gefühl der Zugehörigkeit, dem Aufgehen in einer Gemeinschaft – oder im Glauben.
Für das Publikum entsteht ein großer audiovisueller Raum, eine Landschaft aus Wort- und Musikfragmenten mit Bachs Musik. Der Anfang, das Thema von der Flöte gespielt, ist eine in den Raum gestellte Frage: Bin ich allein? Die Fugen bilden vorsichtige, tastende Kommunikationsversuche, man kommt sich näher. Verständigung durch Musik. Zwischendrin Ausblicke, Sehnsüchte, Hinweise. Räumliche Distanzen werden musikalisch überbrückt. Zwischendrin, aus unsichtbaren Lautsprechern gemurmelt, die unterwürfige Widmung Bachs an den König. Aus heutiger Sicht unfassbar und unwürdig für einen der größten Künstler, den die Welt hervorgebracht hat. Das Gegenteil von Gemeinschaft, sondern die größte denkbare Hierarchie. Ganz oben und ganz unten, mit dem Gesicht zum Boden. CONTINUUM ist: kein festes Ensemble und kein Kollektiv – eher eine über den konkreten Projekten und Personen schwebende Gesamtidee, die sich in alle Richtungen dehnen kann. CONTINUUM ist die Freiheit, Alte Musik neu zu denken, innovativ zu präsentieren und sie in Bezug setzen zu einer Gegen- wart, die ihr nicht so fern liegt, wie der Name und die gewöhnliche Aufführungspraxis suggerieren. CONTINUUM ist alles, was die vielfach ausgezeich- nete Cembalistin Elina Albach mit Besetzung macht, egal wie groß sie ist. Seit 2015 entstehen mit CONTINUUM Projekte, die die Aktualität der Alten Musik ausloten, spektakuläre Verschränkungen alter und zeitgenössischer Musik mit der Entwicklung eines neuen Repertoires für barockes Instrumentarium und innovative Konzertdesigns.
Im Jahre 1747 reiste Johann Sebastian Bach an den Hof des Preußischen Königs Friedrichs II. nach Potsdam. Es sollte in erster Linie ein Familientreffen werden, denn der Leipziger Thomaskantor wollte seinen Sohn Carl Philipp Emanuel besuchen, der dort bereits einige Jahre als Hofcembalist wirkte. Doch sobald der junge König Friedrich Kunde von der Ankunft des musikalischen Gastes aus Leipzig erhalten hatte, war an einen privaten Charakter der Reise nicht mehr zu denken. Bachs erster Biograph Johann Nikolaus Forkel beschreibt die Szenerie wie folgt:
„Eines Abends wurde dem König, als er eben seine Flöte zurecht machte, und seine Musiker schon versammelt waren, durch einen Officier der geschriebene Rapport von angekommenen Fremden gebracht. Mit der Flöte in der Hand drehte er sich sogleich gegen die versammelten Capellisten und sagte mit einer Art von Unruhe: Meine Herren, der alte Bach ist gekommen! Die Flöte wurde hierauf weggelegt, und der alte Bach, der in der Wohnung seines Sohns abgetreten war, sogleich auf das Schloß beordert. Die erste Erscheinung Joh. Seb. Bachs vor einem so großen Könige, der ihm nicht einmahl Zeit ließ, sein Reisekleid mit einem schwarzen Cantor-Rock zu verwechseln, mußte also nothwendig mit vielen Entschuldigungen verknüpft seyn. […] Der König gab für diesen Abend sein Flötenconcert auf, nöthigte aber Bach, seine in mehrern Zimmern des Schlosses herumstehende Silbermannische Fortepiano zu probiren. [….] Nachdem Bach einige Zeit probirt und fantasirt hatte, bat er sich vom König ein Fugenthema aus, um es sogleich ohne alle Vorbereitung auszuführen.“
Gleichgültig, ob das Thema von Friedrich selbst oder von einem seiner Hofmusiker ersonnen worden war, handelt es sich um eine sehr markante Melodie, die jedoch aufgrund der ausgeprägten Chromatik nicht leicht kontrapunktisch zu bearbeiten ist. Offensichtlich wollte Friedrich den Thomaskantor mit einer besonders anspruchsvollen Aufgabe testen. Als der König den Wunsch äußerte, auch eine sechsstimmige Fuge über das Thema zu hören, wies Bach – laut Forkel – darauf hin, dass sich nicht jedes Motiv zu einer solchen Vollstimmigkeit eigne und wählte sich „selbst eines dazu“, das er „zur größten Verwunderung der Anwesenden auf prachtvolle und gelehrte Art“ sechsstimmig ausführte.
Wieder zurückgekehrt nach Leipzig, stellte Bach einen Zyklus mit verschiedenen Solo- und Ensemblestücken zusammen, die allesamt auf dem »Königlichen Thema« basieren und unter dem Titel »Musikalisches Opfer« veröffentlicht sowie Friedrich II. gewidmet wurden.
In seiner gedruckten Ausgabe teilt Bach das „Musikalische Opfer“ in drei große Abschnitte ein: Am Anfang stehen ein drei- sowie ein sechsstimmiges Ricercar, also Fugen mit drei beziehungsweise sechs obligaten Stimmen über das Thema. Diese beiden Stücke fungieren gewissermaßen als Reminiszens an den Potsdamer Abend: Die dreistimmige Fuge ist höchstwahrscheinlich als überarbeitete Fassung der im Schloss dargebotenen Improvisation zu verstehen; das sechsstimmige Ricercar dagegen als Nachlieferung der vom König gewünschten Zugabe, die sich Bach seinerzeit nur mit einem selbst gewählten Thema zugetraut hatte.
An zweiter Stelle fügte Bach dem Druck eine viersätzige Triosonate für Traversflöte, Violine und Basso continuo ein, in deren Verlauf das königliche Thema immer wieder bearbeitet wird. Dieses umfangreiche und überaus kunstvolle Stück darf als besondere Reverenz an den flötespielenden Preußenkönig verstanden werden. Wie sonst nur recht selten in seinem Instrumentalwerk schlägt Bach hier – namentlich im dritten Satz – empfindsame Töne an, wie sie in Friedrichs Kammerkonzerten en vogue waren. Den dritten Teil des „Musikalischen Opfers“ schließlich bilden zehn Kanons, mit denen Bach einmal mehr seine immensen kontrapunktischen Fähigkeiten unter Beweis stellt. Das „Thema Regium“ wird nach allen Regeln der Kunst bearbeitet und bleibt dennoch im Kern durch seine markante Gestaltung immer erkennbar.
Mitwirkende:
- ENSEMBLE CONTINUUM
- Josten Ellée, Violine
- Johann Bartz, Traversflöte
- Clara Blessing, Oboen
- Lyam Byrne, Gambe
- Daniel Rosin, Cello
- Betram Bue, E-Gitarre
- Elina Albach, Cembalo & Leitung
- Folkert Uhde, Videos und Kameras
- Torsten Podraza, Videoschnitt und Lichttechnik
Programm:
- Johann Sebastian Bach (1685 – 1750): u.a. aus dem Musikalischen Opfer (BWV1079)
- Caroline Shaw (1982 – ) und Missy Mazzoli (1980 – ): verschiedene Kompositionen
Dauer: 75 Minuten | Karten: 20 Euro, ermäßigt 10 Euro | Foto: Henner Fritzsche, Köthen
Eine Koproduktion der Köthener Bachfesttage mit dem Zamus Early Music Festival Köln.
Zeit
30. August 2024 21:15 - 22:30(GMT+01:00)
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Marienkirche Aken
Informationen
Ermäßigungsberechtigt sind Schüler*innen, Auszubildende und Studierende, Erwerbslose und Schwerbehinderte. Kinder bis 6 Jahre haben freien Eintritt. Schwerbehinderte mit B im Ausweis erhalten eine ermäßigte Karte, die Begleitperson erhält kostenfreien Zutritt mit einer Begleitkarte. Kostenfreie Begleit- und Kinderkarten können per Mail an tickets@bachfesttage.de und in der Köthen-Information gebucht werden. Bitte beachten Sie, dass die Veranstaltungsorte nur teilweise barrierefrei sind. Ermäßigte Tickets haben nur bei Vorlage eines entsprechenden Nachweises Gültigkeit.
Bis zum 21. März 2024 werden die ersten 20 Prozent des Kartenkontingents jedes Konzertes um 10 Prozent reduziert angeboten. Ein weiterer Rabatt in Höhe von 10 Prozent wird bis zum 31. Juli 2024 gewährt, wenn die Tickets in der Köthen-Information im Schloss erworben werden.